Grünland oder Pflanzenbau? Ein Gedankenexperiment

Immer mehr Menschen träumen davon, für eine gesunde Ernährung nicht mehr so viele Tiere aus industrieller Produktion töten zu müssen und wünschen sich, ihren Appetit auf Fleisch und Milch aus extensiver Landwirtschaft decken zu können. Derzeit wird die Versorgung der Bevölkerung zu einem nicht unerheblichen Teil mit tierischem Protein gedeckt. Die dazu nötigen, vielen Millionen Tiere werden wiederum zu einem nicht unerheblichen Teil durch Getreide aus intensiven Anbau oder Protein, das von weither importiert wird, versorgt. Die Probleme sind bekannt.

Daher wird der Ruf nach extensiver Tierhaltung und der verstärkten Förderung von Grünland lauter. Wenn man nur noch weidende Schweine, Rinder, Hühner nutzen würde, die kaum oder gar nicht zugefüttert würden, könne man Ressourcen schonen, durch wertvolles Grünland die Biodiversität steigern und sogar CO2 im Boden speichern, so die Annahmen. Extensives Grünland ist tierfreundlicher, schützt gefährdete Arten und sieht schön aus. Extensives Grünland liegt voll im Trend.

Noch deutlicher werden in weiten Teilen der Gesellschaft die Rufe nach einem völligen Verzicht auf die Tierproduktion überhaupt. Dort, wo jetzt Weiden stehen, könnten dann wieder Wälder wachsen. Wälder kühlen das Klima, sichern Wasserkreisläufe, bringen noch mehr Biodiversität hervor, sehen noch schöner aus und speichern langfristig noch mehr CO2. Wälder sind absolut voll im Trend.

 

Aber ginge das denn überhaupt? Könnten wir Deutschland rein pflanzlich ernähren?

Wir haben in Deutschland im Jahr 2021 etwa 83,5 Millionen Menschen. Diese sind etwa zu gleichen Teilen Frauen oder Männer in verschiedenen Altersstufen, mit unterschiedlicher körperlicher Betätigung und stark variierendem individuellen Bedarf. Daher ist alles, was jetzt folgt sehr vereinfacht, mit Durchschnittswerten und allgemeinen Annahmen. Es soll eben nur einen Denkansatz bieten.

Normal tätige Menschen haben einen Proteinbedarf von etwa 50-90 Gramm je Tag, SportlerInnen im Muskelaufbau mehr, Kinder und ältere weniger, Schwangere irgendwo dazwischen. Nehmen wir mal einfach 70 Gramm, wie gesagt, wir arbeiten mit Durchschnittsangaben. Der tägliche Energiebedarf liegt zwischen 1800 kcal und 2500 kcal, Ironman Sportler mehr, kleinere Frauen weniger. Nehmen wir den Durchschnitt mit  2000 kcal pro Tag.

Um zu überschlagen, was wir so brauchen, ist es völlig legitim nur den Proteinbedarf zu nutzen. Denn was wir anbauen hat im Mix der täglichen Küche eher einen Energieüberhang.  Weizen bietet bei 140 gr Protein je Kilogramm etwa 3800 kcal. Mais hat bei 140 gr Protein 9300 kcal und frische Erbsen bei 220 gr Protein etwa 810 kcal. Wenn wir uns daher auf Protein als Messwert konzentrieren sollte der Kalorienbedarf auch gut gedeckt sein.

Stellen wir uns mal vor, es gäbe als einzige Form der Tierproduktion nur noch die ganzjährige Weidewirtschaft, ohne Stalltage oder Zufütterung, also echt extensiv. Vergleichen wir mal, was so ein Hektar Grünland im Vergleich zum Pflanzenbau bringt.

In der nachfolgenden Tabelle stehen sich die extensive Rindermast und der pfluglose Anbau von grünen Bio-Erbsen gegenüber. Die Rinder erhalten nur eine gut geführte Weide und die Erbsen Düngung durch Gründüngung und Kompostwirtschaft, ohne tierische Exkremente. Grundlagen der Annahmen sind Angaben der Bioverbände über typische Leistungen in gut geführten Betrieben in Deutschland.

Rind extensiv,
ganzjährige Weide
Grüne Erbsen
bio, pfluglos, Kompost
Schlachtgewicht je Tier 280 kg
Mastdauer 2 Jahre
Tiere je ha 2 GV
Ertrag kg / ha und Jahr 280 kg 3600 kg
Proteingehalt 22% 7%
Proteinertrag / ha 127 252
Diesel (ohne Transporte) 18 L 35 L
Wasserbedarf / ha und Jahr 36000 L 0 L

Ein Mastrind einer geeignenten Robustrasse kann nach zwei Jahren Weide etwa 450 – 600 kg auf die Waage bringen. Davon wird nicht alles genutzt. Wir kalkulieren daher mit einem Schlachtkörper 280 kg. Im Biolandbau sind 2,5 Großvieheinheiten je Hektar erlaubt. Die extensive Weide kann im Mix aus Mutterkuhhaltung und Mast Schnitt zwei ausgewachsene Tiere ernähren. Damit haben wir in unserem Beispiel nach 2 Jahren je Hektar zwei Bullen mit je 280 kg Schlachtkörper, d.h. ein Ertrag von 280 kg Fleisch je Hektar und Jahr.  Fleisch hat einen Proteingehalt von 22 %.

Erbsen werden im Biolandbau mit etwa 36 dt (3600 kg) / ha geerntet. Frische Erbsen haben einen Proteingehalt von 7 %.

Wir können demnach mit Hülsenfrüchten (Beispiel Erbse) fast die gleiche Menge Protein von der Hälfte der Fläche erwirtschaften, ohne dass Rückstände von Medikamenten, Wurmkuren o.Ä. ins Grundwasser gelangen.

Anmerkung 1: Auch bei der Extensivmast von Robustrassen ist ein Ausgleich mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen nötig. Diese kommen größtenteils aus China, ob Bio oder nicht.

Anmerkung 2: Die Milcherzeugung unter vollkommen extensiver Weidehaltung, ohne Zufütterung ist in unseren Breiten kaum umsetzbar. Es gibt Projekte in denen unter reiner Grasfütterung nur für 80 Tage gemolken wird und die Kühe den Rest des Jahres leer stehen. Aber mit einer Jahresleistung von nur 500 bis 2000 Litern Milch kommen die Kosten nicht wieder rein. Ähnlich verhält es sich bei Legehennen. Darum wurde hier die Fleischerzeugung als Referenz gewählt.

Natürlich ist nur mit der Gegenüberstellung der Landbaumethoden das Protein noch nicht auf dem Teller. Die Erbsen müssen transportiert, getrocknet oder gefroren und gekocht werden. Bullen müssen transportiert, umgebracht, zerlegt, gekühlt und gut durchgebraten werden.

Ja,  man kann tierisches Protein nicht mit Erbsen vergleichen. Es sollte ja nur ein Rechenbeispiel sein. Erbsenprotein ist natürlich viel gesünder, da das Aminosäureprofil eher dem Bedarf des Menschen entspricht und es gleichzeitig reichlich Antioxidantien, Vitamine und verdauungsfördernde Bestandteile mitbringt. Wobei die Entzündungsfaktoren, Hormone und schädlichen Fette dagegen vollkommen fehlen.

Ja, wir können nicht nur von Erbsen leben. Das ist auch gut so. Denn im Mix einer gesunden Ernährung mit Obst, Nüssen, Salaten, Kräutern, Ölsaaten, Hülsenfrüchten, Wurzelgemüsen und Getreidesorten sieht die soeben durchgeführte Kalkulation noch besser aus. Schließlich brauchen wir, um Krankheiten und Schädlinge abzuhalten und die Bodengesundheit zu erhalten, eine gut angepasste Fruchtfolge. Mit Weizen, Hafer, Lupinen oder Nüssen sind die Proteinerträge je Hektar noch viel höher. In der Kombination mit Agroforstwirtschaft können noch weitere Effekte hinsichtlich Wasserhaushalt, Nährstoffkreisläufen und Klimastress erzielt werden.

 

Aber reicht es denn für alle?

Die 83 500 000 Menschen in Deutschland haben mit einem Proteinbedarf von 70 Gramm je Tag und Person bzw. einen Jahresbedarf von 25 kg je Person einen Gesamtbedarf von etwa 2 Millionen Tonnen Protein im Jahr. Mit unseren Erbsen als Modell bräuchten wir dazu etwa 8,2 Mio Hektar (ha) Ackerland. In Deutschland nutzen wir derzeit 11,7 Mio ha Ackerfläche, 4,7 Mio ha Dauergrünland und etwa 1,2 Mio ha Sonderkulturen. Da da die Flächenproduktivität einer rein pflanzlichen Erzeugung selbst unter Ökobedingungen mindestens doppelt so hoch ist wie die der Tierproduktion, können von der gleichen Fläche doppelt so viele Menschen versorgt werden. Oder wir machen es gleich richtig und halbieren die Nutzfläche, um den Rest wieder der Natur zurückzugeben. Dort ensteht dann über die Jahre Wald. Wald ist immer wertvoller als das wertvollste Grünland.

Das beuteutet, rechnerisch ist also der komplette Verzicht auf tierische Lebensmittel gut umsetzbar und sogar aus Umweltaspekten zu attraktiv.

  • Wir könnten dann Weiden verwalden lassen und auf den Ackerflächen genug für alle anbauen. Ohne die Tierhaltung würden ohnehin auch Ackerflächen frei, denn etwa die Hälfte des Ackerlandes wird heute für die Futterproduktion genutzt.
  • Wir könnten auf Importfuttermittel verzichten (Stichworte Soja, Fischmehl, Palmöl).
  • Wir hätten genug Raum für die weitere Extensivierung des Anbaus und könnten auch ertagsschwächere aber wertvllere Sorten anbauen.
  • Wir hätten genug Raum für Sicherheitszulagen, um für schlechte Zeiten vorzusorgen oder unseren Nachbarn zu helfen.
  • Wir hätten genug Fläche für Spezialitäten, Sonderkulturen und den Anbau von non-Food-Erzeugnissen wie Hanf oder Leinen.

Wo fangen wir an?

Verbote sind bekanntlich unbeliebt und politisch motivierte Subventionen lenken meist in die falsche Richtung. Ah, da haben wir die Lösung! Schaffen wir doch erst einmal die direkten und indirekten Agrarsubventionen für veraltete Methoden ab, die uns daran hindern, neue Wege zu gehen.