Weil niemand neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleich an die Arbeit oder sogar am ersten Tag zum Kunden schicken möchte, ist „Onboardingprogramm“ ein deutsches Wort geworden.
Der Tag 1 startet mit einem Gang durch das Büro, vielleicht noch gefolgt einer Werkbesichtigung und dem Mittagessen in der Kantine. Dann geht’s an den Computer. Mit der Pandemie als Ausrede, geht es im Home-Office direkt an den Computer.
Dort wartet schon ein interaktives Onboardingtool, das aus eigener Kreation oder von einem Anbieter interaktiver Onboardingtools stammt (angepasst mit Firmenlogo, natürlich).
„Willkommen“ steht da und die neue Mitarbeiterin oder der neue Mitarbeiter soll sich nun alleine durch das Program navigieren und alles lernen, was nach Auffassung der Personalmanagements nötig ist, um sich in der neuen Firma zurecht zu finden und alles richtig zu machen. Man lernt von Ethikgrundsätzen, der Produktentwicklungspipeline, CRM, QM, HR, EHS, neuen Beschwerdemanagementprozessen über Geheimhaltungsregeln bis zur Spesenabrechnung ganz kompakt einfach alles. Das ist sicher effizient, aber kaum effektiv.
Schon am ersten Abend sind die Neuankömmlinge meist total überladen und nach der ersten Woche ausgebrannt und schon urlaubsreif. Eine Vorstellung davon, wie die eigentliche Arbeit aussieht, wurde nicht vermittelt und 90% von dem, was da so präsentiert und per Multiple-Choice abgefragt wurde, ist schon wieder vergessen.
Willkommen fühlt sich auf diese Weise niemand, sondern eher ziemlich alleine.
Also sagen wir: Schluss damit!
Wir empfehlen ein Patensystem
Wenn jemand in neu ins Unternehmen kommt, dann kommt diese aufgeregte und neugierige Persönlichkeit in erster Linie in eine neue Gruppe meist unbekannter Menschen und nicht einfach an einen neuen Arbeitsplatz.
Die einführende Begleitung durch einen erfahrenen Mitarbeiter im Unternehmen, dem Paten, bietet auf elegante Weise die Möglichkeit inhaltliche Themen und zwischenmenschliche Aspekte nachhaltig abzudecken.
Der Neuankömmling wird einem Mitarbeiter zugeordnet, der im Verständnis einer Dienstleistung verantwortlich ist, die wichtigen Themen und Prozesse abzudecken, Kontakte herzustellen, Fragen zu beantworten und Vertrauen zu schaffen. Das Tempo kann dabei auf den Bedarf und die Ansprüche des Neuankömmlings angepasst werden.
Idealerweise stammt der Pate aus einer anderen Abteilung und liegt auf einer anderen Hierarchieebene als das „Patenkind“. Damit räumt man gleich Konkurrenzgefühle oder sonstige Vergleichsmechanismen aus dem Weg.
So könnte der Marketingassistent die neue Produktionschefin begleiten oder der Einkaufsleiter den neuen IT-Junior ins Unternehmen einführen. Im Vertrieb lässt sich das gut unabhängig von Regionen, Kundengruppen oder Produktkategorien gestalten. Die Fachberaterin im Saatgut könnte gut eine Zeit für den Senior Trader verantwortlich sein, oder umgekehrt.
„Verantwortung“ ist hier wieder, wie sooft in unseren Beobachtungen das Schlüsselwort. Der neue Mitarbeiter bekommt keine To-Do-Liste, sondern der Pate ist für die Erfüllung der Aufgaben verantwortlich. Natürlich hilft trotzdem eine Checkliste, eine Scorecard oder ein Pflichtenheft, wie man es auch nennt, als gemeinsame Orientierung. So kommt auch gleich, in Echtzeit ein ehrliches und konstruktives Feedback in Sinne der kontinuierlichen Verbesserung des Programms zurück. Das geht alles auch remote und virtuell.
Das Patensystem erleichtert den Anfang, bietet Ruhe, baut Vertrauen auf und ist langfristig Wirksam, denn durch die persönliche Begleitung kann man sich das Erlernte und Erlebte besser merken. In vielen Fällen entstehen so auch langfristige, abteilungsübergreifende Beziehungen, die für beide Parteien später noch sehr wertvoll sein können.
Wichtig ist dabei, auch den Paten selbst gut auszustatten. Das Onboarding macht man nicht so nebenbei. Es sollte dafür ein ernstgemeintes, zeitliches Budget geben. Es lohnt sich, denn die Einführung einer neuen Kollegin / eines neuen Kollegen kann sehr lehrreich sein. „Lehren“ heißt bekanntlich „zweimal lernen“. Man sieht das vertraute Unternehmen mit andern Augen, trifft Mitarbeiter, die man sonst nicht trifft und lernt auch über andere Aufgabenbereiche etwas dazu. Das gegenseitige Feedback ist auch hier wieder sehr wichtig.
Ein gutes Patenprogramm dauert ein ganzes Jahr. Während sich die ersten Wochen auf die klassische Einführung konzentrieren, kommen später noch gelegentliche Fragen zur Orientierung auf, die durch keine Software der Welt abgedeckt werden können. Es sind meist die vertraulichen, zwischenmenschlichen Themen und die ungeschriebenen Gesetze, die ein Unternehmen jenseits der Website, des Intranets und der selbstgestellten Ziele ausmachen.
Der Titel „Onboarding abschaffen!“ ist offensichtlich nicht ganz so pauschal gemeint, wie es klingt. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass Onboarding eine Aktivität des Arbeitgebers sein sollte und nicht ein „Programm“, das der neuen Mitarbeiterin / dem neuen Mitarbeiter als erste Pflichterfüllung vorgesetzt wird.
Versuchen Sie es doch mal!