Eine pflanzenbasierte Ernährung ist nicht nur ein Trend aus hippen Großstädten. Es ist ein globaler, gesellschaftlicher Wandel.
Der Antrieb dazu kommt uas verschiedenen Richtungen. Zum einen reduzieren die Menschen (um das Wort Verbraucher zu vermeiden) aus gesundheitlichen und ethischen Beweggründen oder der Umwelt zuliebe ihren Fleisch, Fisch und Milchkonsum, zum anderen ist die Tierhaltung für die Landwirtschaft aus Kostengründen immer weniger attraktiv. Angebot und Nachfrage sinken also gleichzeitig.
Das ist für einzelne Betriebe problematisch, aber für die Landwirtschaft ins gesamt eine Chance.Eine zunehmend pflanzenbasierte Ernährung könnte die landwirtschaftlichen Einkommen in Europa erhöhen – das selbst in Ländern, in denen heute die Tierhaltung den größten Teil der Einkommen ausmacht. Das ist das Ergebnis einer Studie des Thünen-Modellverbunds, die in der Fachzeitschrift Journal of Agricultural Economics erschienen ist.
Verschiedene Annäherungen an eine überwiegend pflanzenbasierte Ernährung mit moderatem Konsum an Fleisch und Milchprodukten – auch bekannt als Empfehlungen der EAT-Lancet-Kommission – wurden für die EU modelliert. Dabei wurde unterstellt, dass die Konsumenten von sich aus, ohne politische Eingriffe, ihre Ernährung ändern. In der weitreichendsten Ernährungsumstellung könnten demnach die landwirtschaftlichen Einkommen in Deutschland auf längere Sicht (Betrachtungsjahr 2050) bis zu 20 Prozent steigen, auf der EU-Ebene sogar bis 70 Prozent. „Dieser positive Effekt lässt sich auf eine starke Nachfragesteigerung bei Obst und Gemüse und ein damit verbundenes hohes Preisniveau bei diesen Produkten zurückführen“, sagt Dr. Jörg Rieger vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft in Braunschweig, einer der Autoren der Studie. „Unsere Berechnungen ergeben: Bei Betrieben, die Obst und Gemüse produzieren, entsteht eine deutlich höhere Wertschöpfung pro Hektar Anbaufläche.“
Länder mit intensiver Tierhaltung profitieren.
Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass es dabei sehr stark auf die regionale und betriebliche Struktur der Landwirtschaft ankommt. Länder mit hohen Investitionen in die Tierhaltung können nicht sofort in neue Wirtschaftszweige investieren und erleiden Verluste durch geringere Preise. Deutschland gehört zu diesen Ländern – die Landwirtschaft würde laut den Autoren kurz- bis mittelfristig Einkommenseinbußen von circa 12 Prozent erfahren. Rinderhaltende Betriebe in Norddeutschland wären mit Einkommenseinbußen um bis zu 50 Prozent am stärksten betroffen. „Andererseits könnten deutsche Gemüsebetriebe bis zu 50 Prozent an zusätzlichem Einkommen erhalten“, sagt Florian Freund, Co-Autor aus dem Thünen-Institut für Marktanalyse. Langfristig, wenn die Strukturen optimal an die neuen Ernährungsgewohnheiten angepasst sind, können aber auch die ehemals auf Tierbestände spezialisierten Länder von einer Umstellung auf pflanzliche Produkte profitieren, so das Autoren-Team weiter.
Da eine Umstellung der Ernährung mit positiven Gesundheits- und Umwelteffekten verbunden ist, sollte die Politik dies mit einem entsprechenden Maßnahmenmix fördern und den Transformationsprozess gestalten, schlussfolgert die Studie. Die Anpassungskosten könnten durch den Abbau rechtlicher Hürden und die Bereitstellung finanzieller Unterstützungen für die Einführung neuer Produktionssysteme gesenkt werden. Soziale Auswirkungen in den am stärksten betroffenen Regionen könnten unter anderem durch die Unterstützung von Umschulungen oder die Bereitstellung zeitlich begrenzter Einkommensbeihilfen für besonders belastete Betriebe abgefedert werden. Landwirte seien gut beraten, die Trends im Ernährungsverhalten im Blick zu behalten, empfehlen die Autoren der Studie.
Und jetzt?
Diese Entwicklungen stellen den Agrarhandel natürlich vor enorme Herausforderungen. Schließlich gehen nicht nur 60-70 % des Getreides in die Tierproduktion, sondern auch Nebenerzeugnisse aus der Ethanolherstellung, der Verarbeitung von Ölsaaten und vielen anderen Sparten, die auf diese Wertschöpfungskanäle angewiesen sind. Ausserdem ist die Tierhaltung ein gigantischer Markt für den Anlagenbau, das Transportwesen und den Absatz von Medikamenten, Vitaminen, Mineralstoffen und weiterer Zusatzstoffe.